Video Codecs: Freie Videocodecs auf den Vormarsch

Lizenzfreie Videocodecs haben meist zwei Probleme: Entweder kommen sie technisch nicht an die kommerziellen Codecs heran oder sie sind mit existierender Hardware kaum kompatibel – manchmal beides. Mit AV1 soll sich das ändern.

Gute Codecs ohne Lizenzgebühren? Das gibt es bereits!

Die Idee von freien Codecs für Video, die ohne Lizenzgebühren verwendet und vertrieben werden können, ist nicht neu. Vielen Nutzern ist es vielleicht gar nicht bewusst, aber tatsächlich entrichten die Hersteller von DVD-Playern oder anderen Endgeräten Lizenzgebühren für die Verwendung der Codecs (z. B. MPEG-2). Möchte man nun selbst am PC Videos in MPEG-2 erstellen oder ansehen, benötigt man entweder ein kommerzielles

Videoschnittprogramm bzw. einen Player, die seinerseits eine entsprechende Lizenz beinhalten. Alternativ muss man eine eigene Lizenz erwerben. Von illegalen Lösungen sehen wir an dieser Stelle einfach einmal ab. Natürlich gibt es eine Reihe von kostenfrei verfügbaren Codecs, aber die Kompatibilität ist aufgrund der geringeren Verbreitung auf Endgeräten oft nicht gegeben. Zudem gibt es technische Probleme bei der Verarbeitung und der Leistungsfähigkeit vieler Codecvarianten, die alles erschweren.

Infografik: Die 7 Vorteile des AV1 Videocodecs.
Infografik: Die 7 Vorteile des AV1 Videocodecs.

Warum ist Googles VP9 gescheitert?

Google hat vor einiger Zeit mit VP9 ein freies Videocodec zur Verfügung gestellt, das trotz seiner relativ großen Verbreitung (nicht zuletzt durch YouTube, das dieses Format mittlerweile verwendet) den Durchbruch nicht geschafft hat. Das Hauptproblem ist, dass die Industrie diesen Standard einfach nicht implementiert hat und weiterhin auf die vorhandenen Lösungen wie H.264 setzte. Open Source hin oder her; obwohl viele Browser VP9 unterstützt haben, wäre die Umstellung der gesamten Videoindustrie auf VP9 technisch zu aufwändig gewesen.

Fast jedes Endgerät unterstützt beispielsweise hardwaremäßig H.264, nicht jedoch VP9. Ohne eine entscheidende Abwärtskompatibilität kann man aber auch nicht erwarten, dass sich ein neues Format ohne Weiteres durchsetzt, weder bei der Industrie noch bei den Usern am anderen Ende der Leitung. Wichtig ist für den Erfolg freier Videocodecs also nicht nur eine saubere technische Lösung in Open Source, sondern auch die Unterstützung durch die großen Tiere der Industrie. AV1, das Open-Source-Projekt von Aomedia, könnte diese Voraussetzungen jetzt erfüllen.

Anders als VP9, das nur die Unterstützung eines großen Unternehmens hatte, kann AV1 bislang auf die Hilfe vieler Firmen setzen:

  • Google
  • Mozilla
  • Intel
  • AMD
  • Nvidia
  • Cisco

Vielleicht langfristig noch wichtiger: Streamingdienste wie Netflix und Amazon sind an einer Verbreitung von AV1 ebenfalls interessiert. Tatsächlich ist AV1 das Ergebnis der Zusammenarbeit all dieser Unternehmen, die sich unter dem Label Aomedia der Entwicklung des freien Video-Codecs verschrieben haben.

Google hat vor einiger Zeit mit VP9 ein freies Videocodec zur Verfügung gestellt, das trotz seiner relativ großen Verbreitung (nicht zuletzt durch YouTube, das dieses Format mittlerweile verwendet) den Durchbruch nicht geschafft hat. (#01)
Google hat vor einiger Zeit mit VP9 ein freies Videocodec zur Verfügung gestellt, das trotz seiner relativ großen Verbreitung (nicht zuletzt durch YouTube, das dieses Format mittlerweile verwendet) den Durchbruch nicht geschafft hat. (#01)

Welche technischen Vorteile bringen freie Video Codecs?

Was bringt die Verwendung freier Video-Codecs wie AV1 auf der technischen Seite? Ziel der Entwickler ist es, auf Grundlage der Erfahrungen mit dem Daala Codec (das ab 2013 als Gegenentwurf zu X264 ins Leben gerufen wurde) neue technische Wege zu gehen, die unter anderem zu besseren Ergebnissen führen sollten. Wer sich einmal genauer mit der Materie befasst und sich über Dateiformat, Farbtiefe, Farbunterabtastung und andere Videodaten informieren möchte, kann jede beliebige Videodatei mit Programmen wie dem Videoinspector oder Mediainfo unter die Lupe nehmen. Das hat nicht nur rein informativen Wert, sondern hilft vielen Nutzern, Probleme mit dem Decoder beim Abspielen aufzudecken.

AV1 soll natürlich ebenfalls die Originalbilder so stark wie möglich einer Kompression unterziehen, ohne dass die Qualität zu stark darunter leidet. Es wird wohl nie ein Codec ohne Qualitätsverlust geben, aber wie stark diese Einbußen vom menschlichen Auge wahrgenommen werden, hängt von vielen Faktoren ab. Deswegen verwenden Video Codecs mathematische Verfahren, um die Einbußen zu kaschieren. Je geringer die Bandbreite und je höher die Kompressionsrate, desto offensichtlicher werden jedoch die Probleme – das berühmte Schachbrettmuster der digitalen Artefakte im Video kennt sicher jeder.

Ältere Codecs wie H.264 schaffen im Vergleich zu H.265 oder AV1 die Vermeidung dieser Blockartefakte längst nicht so gut. Durch die technische Evolution gelingt dies den neueren Vertretern unter den Codecs in der Regel besser – was aber auch daran liegt, dass sie auf eine leistungsfähigere Hardware zugeschnitten wurden als ihre Vorgänger. Wenn die Ergebnisse so dicht beieinander liegen, stellt sich jedoch die Frage, warum man H.265 nicht generell durch das freie Videocodec AV1 ersetzen sollte.

Tatsächlich ist das Open-Source-Codec dem kommerziellen Decoder bei der Betrachtung von Einzelbildern sogar deutlich überlegen. Je kleiner die einzelnen Bildbestandteile, desto augenfälliger werden die Vorteile. Doch wie bei den meisten technischen Entwicklungen ist auch bei AV1 nicht alles Gold, was glänzt.

Die Geschwindigkeit beim Video Encoding ist die Schwachstelle von AV1

Ein Video, das mit modernen Codecs wie AV1 komprimiert wird, zeigt eine bessere Bildqualität, weil das Konzept des gesamten Codecs völlig neu aufgebaut wurde und alte Zöpfe abgeschnitten wurden. Der große Nachteil von AV1 liegt derzeit aber in der Geschwindigkeit beim Video Encoding, also beim Komprimieren der Inhalte. Bei den vorhandenen Standards nach X264 und X265 wurde immer wieder auf eine zunehmende Zahl von CPU-Kernen im Endgerät gesetzt.

Freie Video-Codecs haben viele Vorteile, weil Lizenzgebühren entfallen. (#02)
Freie Video-Codecs haben viele Vorteile, weil Lizenzgebühren entfallen. (#02)

Diese fortschreitende Hardwareentwicklung wurde folgerichtig direkt in die Codecs implementiert und ausgenutzt. Bei AV1 wird absichtlich nur auf einen Befehlsstrang gesetzt, was aber um Umkehrschluss große Geschwindigkeitseinbußen nach sich zieht. Im Moment wollen die Entwickler von AV1 die Spezifikationen des Codecs selbst optimieren und nicht unbedingt auf die sekundären Prozesse der Tools achten, die dafür später zum Einsatz kommen. Das Encoding spielt natürlich nicht für jeden Nutzer eine Rolle. Ein User, der über Netflix oder Amazon ein Video streamt, interessiert sich nur für die Qualität und eine ordentliche Downloadrate – wie lange jemand für die Erzeugung des Streams benötigt hat, kann ihm egal sein.

Anders sieht das aus, wenn AV1 auch für Hobbyfilmer und andere Ersteller von Videos als Codec interessant werden soll. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Optimierungen für die Hardware zur Marktreife hin implementiert werden – zumal die Entwicklung dort ja auch nicht stehen bleibt und somit jetzige Entwicklungen in zwei, drei Jahren vielleicht ohnehin wieder überholt sind. Insbesondere hinsichtlich der Aussichten auf 4K sollte man die zukünftigen Möglichkeiten von AV1 nicht unterschätzen.

Fazit: AV1 ist das vielversprechendste unter den freien Video Codecs

Freie Video-Codecs haben viele Vorteile, weil Lizenzgebühren entfallen. Als Open Source profitieren sie außerdem von spezifischen Weiterentwicklungen der Community. Dafür gibt es genügend Beispiele aus anderen Bereichen. Anders als bei OpenOffice oder ähnlichen Projekten spielt die Hardwareunterstützung der Industrie bei Codecs jedoch eine maßgebliche Rolle.

Falls AV1 weiterhin von Größen wie Google, Intel, Netflix, Amazon und AMD gefördert wird, könnten wir in einigen Jahren komplett auf dieses freie Videocodec umsteigen. Die Erfahrungen mit VP9 zeigen jedoch, dass selbst ambitionierte Vorhaben in Sachen Video bisweilen scheitern können.


Infografik: © Schwarzer.de
Bildnachweis: © Shutterstock-Titelbild: _nampix  -#01: 1000 Words-#02:  Gorodenkoff