E-Privacy-Verordnung: Fluch oder Segen?

Als ich letzte Woche in der Horizont das Interview mit Matthias Wahl zur E-Privacy-Verordnung las, war ich doch etwas verwundert. Verwundert über die Sichtweise und verwundert über den Einblick in die Denkweise so manches Entscheiders und Budget-( besser eigentlich: Ergebnis- )verantwortlichen.

Die E-Privacy-Verordnung und die Ängste

Das liest sich im Interview der Horizont vordergründig so plausibel. Ich zitiere: “Das ist wirklich eine Katastrophe. Wenn die User künftig für jegliche Datenerhebung ihr Opt-in geben müssen, bedeutet das den Tod für viele werbefinanzierte Websites – und auch beispielsweise für weite Teile der Online-basierten Marktforschung und des Internets, wie wir es heute kennen.” – Zitat Ende.

Für mich stellt sich die Frage, welche Bedrohung hier wirklich im Raum steht. Wenn ich heutzutage durchs Internet surfe, kann ich nicht feststellen, dass all die personalisierte Werbung mein vielzitiertes Nutzererlebnis in irgendeiner Form angenehmer gemacht hätte. Allerorts schlägt mir aufdringliche Werbung entgegen. Je arrivierter die Webseite, desto weniger Zurückhaltung. Natürlich will ich mein Nutzererlebnis angenehmer gestalten. Und natürlich will ich all die aufdringliche Werbung nicht. Aber ganz offensichtlich ist es für viele Werber wichtig, mir noch Wochen nach meinem Besuch eines Shops mich daran zu erinnern, welche Produkte ich zuletzt angesehen habe. Schafft das wirklich Kauflaune? Nein, eher im Gegenteil.

Was geschieht wirklich, wenn die E-Privacy-Verordnung aus Brüssel umgesetzt wird? Wenn ich nicht zustimme, erfahre ich nicht mehr, welche Produkte ich kürzlich angesehen habe. Das ist einerseits für mich ein Zugewinn und – ganz ehrlich – für den Shopbetreiber auch, denn ich bin von ihm nicht mehr genervt. Warum hat der Shopbetreiber die Kenntnis meiner Interessen nicht dazu genutzt, mit Interessantes, Hilfreiches und Wissenswertes zu offerieren? Mal so ganz ohne direkte Verkaufsabsicht? Also ich hätte das smart gefunden und hätte mir den “Mehrwertinhalt” gerne mal reingezogen. Und zum Kaufen wäre ich dann von ganz alleine übergegangen. Denn: das nächste Bedürfnis kommt gewiss und dann weiß ich ja, wer mich wirklich ernst nimmt und sich um mich bemüht.

Somit sehe ich nicht, wie die E-Privacy-Verordnung wirkliche Risiken aufbaut, gar tödlich ist – außer für die hirnlose Werbung, wie man sie immer noch allerorten wahrnehmen muss. Mir persönlich geht die E-Privacy-Verordnung aus Brüssel nicht weit genug. Ich würde gerne auch auf das verzichten, was ich an Werbemüll täglich serviert bekomme. Aber das kann die E-Privacy-Verordnung auch gar nicht leisten. Dazu müsste sie einen anderen Namen tragen. Das wäre dann etwas wie “Freiwillige Selbstbeschränkung”.

Die E-Privacy-Verordnung: Chance zum Umdenken und Besinnen auf das, was wirklich zählt. Was das ist? Interessen und Nutzen des umworbenen Kunden? (#1)
Die E-Privacy-Verordnung: Chance zum Umdenken und Besinnen auf das, was wirklich zählt. Was das ist? Interessen und Nutzen des umworbenen Kunden? (#1)

Umdenken? Bloß nicht!

“Was sollen wir tun, wenn digitale Werbung nicht mehr funktioniert?” – das ist das, was ich dem Interview als Quintessenz entnehme. Das Problem ist nicht das Thema Datenschutz und ein übereifriges Brüssel, sondern das einfallslose Auftreten der Wirtschaft in Sachen Werbung. Von wegen Schweinebauch ist passé. Da ist noch viel Schwein unterwegs, vor allem digitales.

Aber jetzt will ich mit dem Bashen aufhören und konstruktiv werden. Was sind Auswege aus dem selbst eingeredeten Dilemma?

1. Weg aus der Misere: Video-Marketing statt personalisiertem Schweinebauch

“Ja, der Herr Schwarzer will mir jetzt Video verkaufen.” – so rattert es jetzt doch sicher hinter hoher und gerunzelter Stirn, oder? Das ist aber leider nicht die Frage, ihr Lieben. Die eigentliche Frage ist, warum bislang nur wenige Marketer den personalisierten Schweinebauch gegen cleveres Video-Marketing eintauschen wollen?

Kein anderes Medium findet seinen Weg zur Zielgruppe schneller – und vor allem eleganter, denn die Zielgruppe selbst sucht nach Video-Content. Auf Brandwatch.com habe ich gelesen, dass es täglich im Durchschnitt 1.000.000.000 Views auf YouTube gibt und dass 2015 18-49-Jährige weniger Zeit vor dem Fernseher verbrachten, während die auf YouTube verbrachte Zeit um 74 Prozent anstieg. „How to“-Suchanfragen auf YouTube wachsen um 70 Prozent jedes Jahr.

Gerade das Letztere sollte aufhorchen lassen, denn es deutet an, womit man auf YouTube den Nutzer und künftigen Kunden abholen kann. Ich rede jetzt nicht vom Mehrwert, obwohl es einer ist. Das Wort wird allzu oft sehr strapaziert. Ich sehe es so, dass der Nutzer bei seinem Bedürfnis abgeholt wird und ihm eine Hilfe angeboten wird. Nutzen statt Schweinebauch. Das ist eigentlich der Klassiker. Früher nannte man das “Durch die Kundenbrille schauen”. Jetzt spricht man schematisierend von Mehrwertangeboten. Das ist schade, weil schon wieder viel von der ursprünglichen Bedeutung verloren geht.

Also halten wir fest: Mit Video-Inhalten, die auf das Nutzerbedürfnis ausgerichtet sind und hilfreich sind, lässt sich der Nutzer auf YouTube (und anderen Plattformen) sehr gut auch nach dem Worst-Case-Szenario (O-Ton von Jürgen Scharrer) der E-Privacy-Verordnung erreichen. Und Zufriedenheit beim Nutzer zu produzieren, hat sich bis jetzt noch immer ausgezahlt. Meist auch in Euronen.

Ob man Video-Content auf dem eigenen Corporate Channel, auf dem Brand Channel oder auf einem unabhängigen Channel publiziert, hängt von der jeweiligen Aufgabenstellung ab.

Die E-Privacy-Verordnung kann zur Weiterentwicklung des eigenen Marketings führen. Eine super spannende Case-Study schafft einen wirkungsvolleren Touchpoint als das bdurch Big Data getriebene Programmatic Advertising. (#2)
Die E-Privacy-Verordnung kann zur Weiterentwicklung des eigenen Marketings führen. Eine super spannende Case-Study schafft einen wirkungsvolleren Touchpoint als das bdurch Big Data getriebene Programmatic Advertising. (#2)

2. Weg aus der Misere: Content-Marketing, aber richtig bitteschön

Zugegeben, Video ist in Bezug auf die Aufmerksamkeit beim Nutzer nicht wirklich zu schlagen. Andererseits hängt es auch von der Zielgruppe ab, welches Format und Medium für eine Botschaft angemessen ist. Möchte ein Industrieunternehmen auf die neue Produktserie aufmerksam machen, kann es auch mal eine Artikelserie sein, die sich für alle Suchbegriffe rund um den Anwendungsfall in der Googlesuche auf den vordersten Plätzen findet.

Was das bringt? Na, das ist recht einfach. Wer mit dem Anwendungsbereich für eine bestimmte Maschine befasst ist, der hat auch des öfteren etwas zu googeln. Wenn dieser Nutzer dabei immer wieder auf Fachartikel und Reportagen trifft, welche vorzügliche Case-Studies von Anwendungen der Produkte unseres Beispiel-Unternehmens zeigen, wird ihm schon klar werden, wo der Frosch die Locken hat – und vor allem, wie der Frosch heißt.

Native Advertising, Advertorials, Storytelling und Suchmaschinenmarketing sind nur vier Buzzwords (die E-Privacy-Verordnung kommt nicht vor!), die in diesem Zusammenhang regelmäßig fallen. Natürlich wird Video-Content auch hier seine Wirkung zeigen. Und natürlich wird man gut daran tun, die Case-Study mit hilfreichen Video-Clips aufzuwerten. Ein Interview mit dem Chef-Entwickler, der kleine Einblicke hinter die Kulissen oder unter die Motorhaube gibt? Das interessiert doch den nerdigen Ingenieur-Nutzer, oder?

Warum gibt man dem Nutzer nicht, wonach er wirklich sucht? Eine Lösung für ein kleines Problemchen und ein bisschen Unterhaltung. Das wärs doch. Es sind doch alles Menschen… und daran hat sich in den letzten 10.000 Jahren nicht geändert. Trotz Smartphone und trotz E-Privacy-Verordnung.

Mein Fazit

Die E-Privacy-Verordnung gibt uns die Chance, endlich umzudenken und dem potentiellen Kunden wertschätzend zu begegnen. Es ist die Chance, umzudenken und von langweiliger Werbung zu begeisternden Freundschaftsangeboten überzugehen.


Bildnachweis: © shutterstock – Titelbild NicoElNino, #1 Durch, #2 Tinxi